7. Irrwurzeln und derlei Zauber

385. In früheren Zeiten gab es Wurzeln, welche den Menschen, der auf sei trat, irre führten. Vor vielen Jahren ging ein Bäckermädchen täglich auf dem Solenweg, der damals noch ein schmaler Wurzelpfad war, von Lauffen nach Ischl. Sie trat auf eine Irrwurzel, verlor den Weg und konnte ihn nicht mehr finden, sondern verirrte sich immer tiefer. Plötzlich kam ihr ein geharnischter Reiter entgegen. Sie fragte ihn nach dem Weg. Er gab ihr keine Antwort, öffnete aber das Visier, ein Totenkopf grinste ihr entgegen. Sie lief was sie konnte, und fiel erschöpft vor der Tür eines Wirtshauses nieder. Bald darauf starb sie.

*386. Am Pyhrgaß führt ein mannigfach gewundener Gehsteig nach Admont. Wer aber den Weg nicht genau weiß, verirrt sich gewiß. Der Grund hiefür sind die Irrwurzen, die von den Bergmandln gelegt werden.

*387. Im Gmuihölzl bei Steinerkirchen an der Traun stehen soviel Irrwurzen, daß niemand, der hineingeht, so schnell herausfindet.

*388. Eine Steinhauser Bäuerin ging einst von Wels heim und war nur mehr eine Viertelstunde vom Hause entfernt. Da trat sie auf eine Irrwurzel und ging nun einen halben Tag in der Irre, schließlich rastete sie und kehrte die Kittelsäcke um, sogleich erkannte sie, daß sie ganz nahe bei ihrem Hause war.

389. Der Richtberg zwischen Traunsee und dem Attersee hat ein unübersichtliches Gelände, am verrufensten ist der Zausengraben. Wer sich in ihm verirrt, muß sich, sobald er es merkt, zu Boden werfen und eine Stunde warten, dann schwindet der Zauber.

390. Ein Försterpaar ging mit der zehnjährigen Tochter von Neukirchen über das Richtbergtaferl nach Weyregg. Im Stangl- oder Scheidgraben ging das Kind zum Taferl voraus. Obwohl die Eltern nur fünf Minuten hinten waren, trafen sie das Kind nicht mehr, es war in den berüchtigten Zausengraben geraten. Wie durch ein Wunder gelang es dem Mädchen, den Rücken des Berges zu ersteigen und dann den Schwarzbach entlang ins Forsthaus zu kommen.

391. Auf dem Berge bei Haslach gab es früher Irrwurzen, wer darauf trat, verirrte sich. Ein Haslacher Handelsmann ging einst nachmittags dem Berge zu, trat auf eine Irrwurzel und fand nimmer heim, bei Einbruch der Nacht kam er zu einer Holzknechthütte auf einer Blöße. Er legte sich hier nieder, wurde aber durch einen grellen Lichtschein gestört. Auf der Wiese sah er eine ganze Gesellschaft bei einem reichen Mahl. Als es zu Ende war, begann der Tanz. Viele bekannte Gesichter kamen an ihm vorbei und in einer Tänzerin erkannte er seine Frau. Bei der zweiten Runde stürzte er auf sie los und schrie: „Jesus, Maria und Josef!“ Im selben Augenblick war es finster, der Mann fühlte einen Schlag im Gesicht und wurde ohnmächtig.
Als er am Morgen noch nicht daheim war, zogen die Leute aus, ihn zu suchen und fanden ihn. Er hatte Striemen wie Brandmale im Gesicht. Ein Fetzen Stoff, den er in der Hand hielt, paßte daheim in einen Riß im Kleide seiner Frau. Sie gestand ihm reuig ihre Hexenfahrt, sagte aber, daß sie von einigen Freundinnen dazu verleitet worden war.

*392. Das Hainbachtal mit allen seinen Hügeln ist von altersher von Zaubern versehrt. Es wachsen dort absonderlich große Eichen. Ein Binder und ein Tischler schlugen einst solch eine Rieseneiche und fanden im Innern die vollkommen erhaltene Leiche eines „goldenen“ Kindes. Nach dem Schnitt des goldenen Kleids und nach dem Alter des gefällten Baumes war das Kind wohl hundert Jahre im Innern des Baumes gelegen. die beiden Männer machten aus dem Holz dauernde Behältnisse: Wiegen, Himmelbetten, Fässer und einmal auch einen Sarg. Diese Behältnisse hatten eine eigenartige Zauberkraft in sich. So kam eine Wieg in ein Schloß im Donautal und weil das erste Kind, das darin lag, ein Mädchen war, waren auch alle folgenden Kinder, für die die Wiege bestimmt wurde, Mädchen.