Lampelgraben bei Großraming

Einst stand am Rupertustage am Saume des Buchenholzes, das sich vom Mittersberg zum Alterskogel hinzieht, ein Liebespaar beisammen und sprach von seiner Zukunft. Es war Suse, das einzige Kind des reichen Kronsteiner Bauers, „die Blume im Moos“ genannt, die schönste Maid im ganzen Lampelgraben und der Umgegend, und ein schöner, schlanker Jägerjunge, Gabriel. Nach der Laune des Fürsten sollte des anderen Tages ein Scheibenschießen stattfinden, und welcher von den Jägerjungen den besten Schuss machen würde, sollte die vakante Jägerstelle am Leineberg erhalten. Tiefbewegt trennte sich das Paar und voll Erwarten und Bangen machte sich Gabriel auf den Heimweg. Gelang ihm morgen der Schuss, so konnte er seine Suse als Gattin heimführen; aber auch seine Mitbewerber waren tüchtige Schützen. Die Nacht brach herein, schwere Gewitterwolken stiegen auf, und alle umliegenden Höhen hüllten sich ein. Da begegnete dem gedrückten Jägersmann Fuchsberger, welcher wegen seiner zauberischen Künste bekannt und gefürchtet war.

Dieser gab Gabriel den Rat, in dieser Nacht noch auf den Schieferstein zu steigen und zehn Schritte von der Felswand rückwärts hinzustellen. Mit dem letzten Schlage der zwölften Stunde werde an ihn ein Zwanzigender-Hirsch herankommen, den müsse er schießen, schleunig aufbrechen und ihm drei von seinen Kugeln ins Herz drücken. Mit einer von diesen werde er des anderen Tages beim Scheibenschießen sicher das Zentrum treffen. Fuchsberger entfernte sich wieder, und lange stand Gabriel unentschlossen.

Endlich folgte er doch dem bösen Rate und eilte dem verhängnisvollen Schiefersteine zu. An der Wand der zwei Felsen, in welchen das Volk den versteinerten Jäger und seinen Hund zu sehen glaubte, stellte er sich auf, und als die zwölfte Stunde eingetreten war, erschien am Gestein der Hirsch. Das Gewehr des Jägers blitzte auf, der Hirsch aber schritt auf den Jäger zu und erfasste diesen mit seinem mächtigen Geweihe. Im tollen Ringen kamen sie immer dem Abgrunde näher, und plötzlich in die Tiefe. Des anderen Tages sagten die Leute im Tale: „Das war eine furchtbare Nacht; der steinerne Jäger hat sich gemeldet!“

Und als man den Leichnam des Jägers brachte, bekreuzten sie sich und erzählten weiter: „Wieder hat tollkühn einer in der Rupertusnacht am Schieferstein nach dem Hirsche geschossen!“ Und als man zu Großraming in der Nähe des Friedhofes den unglücklichen Gabriel ins Grab senkte, da stürzte aus der Menge ein Mädchen hervor und hin zum Rande der Grube; es zerfloss in Tränen und zerraufte sein schönes, braunes Haar – es war die Suse aus dem Moos. Bald darauf folgte sie ihrem Geliebten nach in die kühle Erde, um sich jenseits mit ihm zu vereinigen.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
IV. Mythische Sagen