Die Zauberin am Stein

Schon im grauen Mittelalter existierte die Schenke „am Stein“ unweit Traunkirchen, welche ihrer schönen Lage willen jetzt häufig von Fremden besucht wird. Über dies altehrwürdige Anwesen geht die Sage:

„Vor drei Jahrhunderten lebte in diesem Hause eine Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Tochter. Das Mädchen war ein eigen Wesen. Es sonderte sich von den Altersgenossen ab und durchstreifte ganz allein die Gebirge, um Kräuter zu sammeln und deren Heilkraft zu finden. Auf diesen Wanderungen traf sie einen Einsiedler, der in dem sogenannten „Einsiedlergärtchen“ bei Traunkirchen wohnte und sein Leben kümmerlich fristete. Dieser unterrichtete das talentvolle, aufmerksame Mädchen in dem schwierigen Fache der Kräutermedizin. Nach dem Tode der Eltern übernahm die Tochter die kleine Wirtschaft. Da benützte sie ihre erworbenen Kenntnisse zum Nutzen der leidenden Menschheit. Weit und breit war sie bekannt wegen der Krankenheilung und weit und breit gefürchtet und gescheut als - „Hexe“! Die eitle Wirtin bestärkte das abergläubische Volk in seinem Wahn noch mehr durch Wahrsagerei und allerlei anderen „Hockus-Pokus!“ Die traurige Folge davon war, dass das wohllöbliche Gericht die „Hexe“ zur Folter und schließlich zum Feuertode verurteilte, und diesem ganz „gerechten Beschluss (?)“ die grausame Tat am 29. Juni 16** folgen ließ, was in dem Sterbebuch von Traunkirchen (Besitz des Schullehrers Fischer Theodor) verzeichnet steht.

Natürlich durfte die Hexe nicht in geweihter Erde schlummern, sondern ihr verfluchter Leichnam wurde im Tale der „Wössenaurach“ bestattet.

Die Bewohner der Gegend sagen, dass die Zauberin ganz ruhig schlafe und das Tal nie durch gespenstiges Treiben schrecke. Ja die „arme Zauberin am Stein“ wird sogar als Heilige verehrt, denn am 29. Juni eines jeden Jahres steigt aus dem Grabeshügel ein helles Licht von wunderbarem Glanze, das die Form des Kreuzes bildet. - So ehrt das Volk ein unschuldig geschlachtetes Opfer „mittelalterlichen Wahnsinns“.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
V. Romantische Sagen (Sagen verschiedenen Inhaltes)