Die Urteln in Peuerbach

Ein junger Mann war aus der Fremde nach Peuerbach heimgekehrt. Er wusste gar fein von fernen Landen zu erzählen; die Feder auf dem Barett und der Degen an der Seite standen ihm so zierlich, dass die Mädchen ihm gerne nachblickten, wenn er durch den Markt wanderte. Ein Mädchen nahm seine Bewerbungen an, ach, es war die Braut seines Bruders, der von der Natur nur stiefmütterlich bedacht war, dem die schönen Worte nicht leichtfertig von den Lippen flossen, der in den Sternen zu lesen verstand, und der nebst der Heilkraft der Pflanzen noch von mancherlei gelehrten Dingen Kenntnis hatte. Der kleine Bucklichte hatte sein Bräutchen so lieb; es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, und eines Tages hatte er seinen Bruder erschlagen.

Gar bald war dem Armen der Prozess gemacht. Unter dem Klange des Armensünderglöckchens bewegte sich der traurige Zug auf die eine Stunde entfernte Richtstätte. Dahin ging es über Asing und Rittberg gegen St. Willibald in die Galleth, einen nach Süden auslaufenden Zweig des großen Passauer-Waldes. Quer durch den Wald ging die damalige Grenze zwischen dem Schaumburger-Ländchen und dem bayrischen Herzogtum. Links der Straße, etwa hundert Schritte entfernt, standen der kaiserliche und bayrische Galgen, wovon die dortigen Grundstücke noch heute den Namen die Galinger-Wiesen (Galgenwiesen) führen.

Dem Deliquenten wurde nochmals das Urteil (Urtel) verlesen, der zerbrochene Stab ihm vor die Füße geschleudert, und der Henker wollte eben seines traurigen Amtes walten.

Da wandte sich der Missetäter noch an seine Richter und an die versammelte Menge, sprechend: „Ich habe unrecht getan, die Strafe ist verdient; Leben um Leben! Aber so Ihr mir das Leben schenken wollt, werde ich Euch eine Quelle zeigen, deren köstliches Wasser nie versiegen wird, und die Wassernot, an der mein lieber Heimatort so sehr leidet, wird ein Ende haben. Übt Gnade an mir, und so ich Euch belügen sollte, könnt Ihr mich ja noch immer wieder hierher schleppen.“

Es war richtig, dass Peuerbach fortwährend mit Wassermangel zu kämpfen hatte.

Nach kurzem Beraten wurde der Antrag des armen Sünders angenommen, derselbe seiner Ketten entledigt und beim Rückmarsch an die Spitze des Zuges gestellt. Daheim angekommen, zeigte er eine Stelle: „Hier grabt nach, das Wasser wird durch viele Jahrhunderte nie ausgehen.“ - Es geschah.

Noch heute wird das Wasser dieser Quelle in einer großen, mehr als zwei Meter tiefen Wasserstube gesammelt, und von dort in drei große, gezimmerte Bassins geleitet, die den Namen Urteln haben. Die Auslaufbrunnen dortselbst liefern ausgezeichnetes Trinkwasser, noch besser, als das der Wasserleitungen vom Holzinger und vom Birnberger, die Wäscherinnen können unter Dach, gegen Sonne und Regen geschützt, ihr nasses Geschäft betreiben, und die Feuerwehr hat für den Fall eines Brandunglückes die bedeutende Wassermenge in Vormerk gebracht.

Der Entdecker aber zog sich in den Wald zurück und beschloss als Einsiedler reuig büßend sein Leben.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
V. Romantische Sagen (Sagen verschiedenen Inhaltes)