Die Schlangenkönigin

Vor vielen Jahren gingen mehrere Leute von St. Georgen bei Obernberg nach dem benachbarten Dorfe Geinberg, um dem dort stattfindenden Kirchweihfeste beizuwohnen. Ihr Weg führte sie an einem Teich vorbei. Die meisten hatten ihn schon im Rücken, als plötzlich einer, welcher etwas zurückgeblieben war, ausrief: „Ei seht, was liegt denn hier?“ Und er hob ein glänzendes Geschmeide vom Boden auf. Es hatte die Gestalt einer Krone, und die ganze Gesellschaft, welche auf den Ruf herbeigeeilt war, betrachtete das Kleinod mit Verwunderung. Es kam auch ein alter Mann dazu, der wollte auch sehen, was es gäbe. Kaum hatte er den Fund erblickt, als er rief: „Lauft, was ihr könnt und verliert das Stückchen nicht, es ist die Krone der Schlangenkönigin und mehr wert, als ein Königreich.“ Sogleich ergriff nun alles die Flucht; denn jedermann wusste, dass, wenn sie nicht aus dem Gebiete der Schlangenkönigin eilten, und diese ihren Verlust bemerkte, es vielleicht um ihr Leben geschehen wäre. Schon waren sie der Grenze nahe, als ein eigentümlicher Pfiff erfolgte. Von allen Seiten erhoben sich jetzt Schlangen, welche zischend durch die Luft fuhren, und den Flüchtigen nacheilten. Schon hatten sie die hintersten erreicht, allein sie achteten dieser nicht und jagten nur demjenigen nach, welcher die Krone hatte. Dieser hatte schnell einen kleinen Vorsprung gewonnen; schon glaubte er der Gefahr entronnen zu sein und wollte eben den letzten Sprung über einen kleinen Bach tun, als eine große, dicke Schlange sich um seine Füße wand. Eilig zog er sein Messer, um sich zu befreien, allein es war zu spät. Es hatten ihn schon mehrere Schlangen erreicht, welche seinen Körper umzingelten. Er stürzte nieder, immer fester zogen sich dieselben zusammen, und der Mann glaubte schon, seine letzte Stunde habe geschlagen, als ihm einfiel, dass das Ungeziefer ihn vielleicht loslassen würde, wenn er die Krone herausgäbe.

Gedacht, getan! Kaum war die Krone wieder am Boden, als auch die Tiere nachließen und sich nach und nach zurückzogen. Eine der Schlangen nahm die Krone und brachte sie der Königin. Die übrigen Leute hatten sich beeilt, über die Grenze zu kommen, und sahen von hier aus den Kameraden in seiner misslichen Lage, ohne ihm helfen zu können. Einen andern, der sich früher hinübergewagt, hatte bereits ein gleiches Schicksal getroffen.

Nachdem nun diese beiden erlöst waren, begaben sie sich auf das Kirchweihfest, wo der Vorfall viel Aufsehen erregte. Mehrere Männer gingen mit geladenen Gewehren nach dem Schauplatze, allein es war nichts mehr zu sehen.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
IV. Mythische Sagen