Die Sage von der Schaumburg

1. Im schönen ob der Enser Lande,
Wo mitten hin die Donau fließt,
Und wo von seinem jähen Strande
So manche Burg das Aug‘ begrüßt, 

2. Die einstens als des Landes Wächter
Die tapfern Ritter stolz erbaut,
Und wo manch‘ fürstliche Geschlechter
Sich ihren Mauern kühn vertraut:

3. Da liegt auch eine solche Feste
Auf einem Felsen steil und hoch -
Sie zeigt durch ihre Ãœberreste
Von einst‘ger Pracht und Größe noch.

4. Es ist der Schaumburg letzter Schimmer;
Erhaben selbst noch im Verfall
Blickt sie mit ihrem grauen Trümmer
So melancholisch in das Tal.

5. Dem Grafen Babo, der dem Stamme
Der Abendtberg und Traun entspross,
Entsprach nicht mehr sein alter Name.
Er baute einstens sich das Schloss,

6. An dem er alle Kunst verwandte,
Die sich zur Wehre denken ließ,
Und sie darauf die Schaumburg nannte,
Nach der er sich „von Schaumburg“ hieß.

7. Stark wie ein Fels, doch nie bezwungen,
So trotzte sie einst jeder Macht;
Doch was den Menschen nie gelungen,
Hat doch die stumme Zeit vollbracht!

8. Denn, die einst stolz von ihrer Zinne
Die stärksten Feinde abgewehrt,
Die liegt jetzt gänzlich in Ruine,
Vom scharfen Zahn der Zeit zerstört.

9. Auch ausgestorben sind die Grafen,
Die einst so mächtig sich gezeigt,
Die selbst des Herzogs Acht und Strafen
In ihrer Feste nicht gebeugt;

10. Die oft das Recht mit Füßen traten,
Wenn nur dabei ihr Stamm gewann,
Die aber auch viel gute Taten
Und fromme Stiftungen getan.

11. Des letzten Grafen einz‘ger Sprosse,
Ein Jüngling voller Mut und Kraft,
Der sich auf seinem wilden Rosse
So manchen Siegespreis verschafft -

12. Langweilte einst sich in dem Schlosse.
Er ging hinaus in die Natur.
Da lag im grünen Erdenschoße
Der Frühling über Feld und Flur.

13. Vor seiner Burg lag ihm zu Füßen
Das wunderschöne Donautal,
Das kleine Hügel sanft umschließen,
Wie ein zum Schutz erbauter Wall.

14. Und aus des Tales eb‘nen Räumen,
Wo sich die Sonne schon verlor,
Da blickten zwischen Blütenbäumen
Die kleinen Dörfer still hervor.

15. Der Abend fing schon an zu tauen:
Zu Ende war des Tages Lauf
Und über lieblich grüne Auen
kam bald der stille Mond herauf.

16. Und seine sanften Silberstrahlen
Erleuchteten schon Tal und Höhn,
Und Lieder sanfter Nachtigallen
Erklangen jetzt so sanft und schön.

17. Sie luden ja zum süßen Schlummer
Die müden Augen fröhlich ein.
Doch Konrad war voll Sorg‘ und Kummer,
Er konnte dessen sich nicht freu‘n;

18. Denn alle diese Lieblichkeiten
Die linderten nicht seinen Schmerz.
Ein allzutiefes Seelenleiden
Bedrängte ja sein sanftes Herz.

19. An nichts konnte sein Schmerz genesen,
Nichts heilen seine wunde Brust,
Nur Kunigundens holdes Wesen
War seine Freude, seine Lust.

20. Doch ach, die er sich auserkoren,
Die er so schön und lieblich fand,
Die war nicht adelig geboren,
Nicht ebenbürtig seinem Stand.

21. Die Tochter von der nahen Mühle
War ihm als Kind ja schon so lieb,
Weil sie mit ihm die heit‘ren Spiele
Der lebensfrohen Jugend trieb.

22. Doch wie sich ihre Jahre mehrten,
Stieg auch die Freundschaft immer mehr;
Und die sich anfangs nur verehrten,
Die liebten sich bald nur zu sehr.

23. Zwar war die Liebesaussicht trübe
Und ihre Zukunft ungewiss,
Doch ihre unbegrenzte Liebe
Die achtete kein Hindernis.

24. Enthoben diesen Erdenräumen,
Entsagend, was die Erde trug,
War ihnen ja das süße Träumen,
Dass sie sich liebten, schon genug.

25. Doch ach, von allzu kurzer Dauer
War diese Liebesfreude nur.
Der alte Graf war auf der Lauer
Und kam bald auf die Liebesspur.

26. Zwar gut, doch stolz auf seinen Adel,
Geriet er nun in höchste Mut
Und überhäufte stark mit Tadel
Des Sohnes starke Liebesglut.

27. Doch alles Mahnen und Erinnern
Half bei dem guten Konrad nicht.
Es stritt nunmehr in seinem Innern
Der Kampf der Liebe und der Pflicht.

28. Er wollte den nicht gern betrüben,
Den er ja kindlich liebt und ehrt;
Und dennoch musst‘ er jene lieben,
Die ihm durchaus nicht war gewährt.

29. So nun in tiefstem Schmerz versunken,
Stand er auch heute vor dem Schloss,
Weil ihm der letzte Hoffnungsfunken
Für seine Liebe fast verlosch.

30. Doch plötzlich ändert er sein Wesen,
Geht hin und weckt den Schlosskaplan,
Der immerhin sein Freund gewesen
Und zeigt ihm seine Absicht an.

31. Sein treuer Freund war zwar verlegen
Und sprach ihm ernst und mahnend zu,
Er möchte reiflich überlegen,
Wenn er so ernste Schritte thu‘.

32. Doch Konrad sprach: „Ich bin entschlossen
Und auf das Kommende gefasst,
Denn bleibt mein Wunsch mir noch verschlossen,
So ist das Leben mir verhasst.

33. Nichts kann mir Schrecken mehr einflößen.
Müsst‘ ich auch betteln einst mein Brot,
Ich werde mein Versprechen lösen,
Sei es zum Leben oder Tod.

34. Dort in der stillen Waldkapelle
Will ich mich ihr auf ewig weih‘n,
Dort komme hin und dort vermähle
Und segne unser Bündnis ein!“

35. Schon längst schlief alles in der Runde,
Und still war alles wie das Grab,
Als Konrad sich zu Kunigunde
Hinunter in das Tal begab.

36. Hier traf er in der kleinen Kammer,
Bei einem Licht von einem Span,
In tiefstem Schmerz und tiefstem Jammer
Die arme Kunigunde an.

37. Sie war so ängstlich und beklommen,
Als Konrad in ihr Stübchen trat.
Sie hat ja auch bereits vernommen,
Was sich im Schloss begeben hatt‘.

38. „Ach, warum kommest Du denn wieder?“
Sprach sie, „und mehrest meine Not,
Da Du doch weißt, dass Dein Gebieter
Uns allen beiden schon gedroht?

39. D‘rum meide diesen Ort der Trauer
Und denke meiner nimmermehr!
Für mich bleibt diese Lebensdauer
Zwar immer hoffnunglos und schwer.

40. Doch allem will ich gern entsagen,
Wenn ich nur Dich recht glücklich weiß,
Auch Schande, Not und Elend tragen;
Denn ach, ich liebe Dich zu heiß!

41. Du warst die Freude meines Lebens,
Mein Höchstes hier auf dieser Welt!
Doch unser Lieben ist vergebens,
Wir haben beide falsch gewählt.

42. Ich will in stillen Klostermauern
Entsagen dieser schnöden Welt,
Will dort so lange um Dich trauern,
bis dieses Herz in Staub zerfällt!“

43. „Dir treu zu sein, hab‘ ich geschworen,“
Sprach Konrad, „selbst, wenn alles bricht,
Doch alles ist noch nicht verloren.
Geliebte komm‘ und weine nicht.

44. Schon harrt auf uns des Priesters Segen:
D‘rum auf und folge mir geschwind!
Des Vaters Unmut wird sich legen,
Wenn wir einmal verehlicht sind.

45. Er kann den einz‘gen Sohn nicht hassen
Und ihm nicht immer böse sein.
Es wird ihn Mitleid bald erfassen,
Und das Gescheh‘ne uns verzeih‘n.

46. Das Kleid, das ich Dir jüngst verehrte,
Es soll Dein Hochzeitskleid nun sein,
Und dieser Ring von hohem Werte,
Er sei als Ehering auch Dein.

47. Schnell, zieh‘ Dich an, denn schon verschwindet
Die Zeit, die ich dem Freund bestimmt,
Der uns auf ewig dann verbindet
Und jeden Zweifel von Dir nimmt.“

48. Sie folgte auch nach langem Schwanken
Und gab dem zarten Flehen nach.
Und so vertieft in die Gedanken
Verließen sie ihr Schlafgemach.

49. Der Mond, der still am Himmel glänzte,
War jetzt mit Wolken ganz umschifft,
Und kleine Räume nur begrenzte
Der Sterne gold‘ne Flammenschrift.

50. Der Abend, der zuvor so heiter,
So lieblich und so freundlich war,
Bot unsern Liebenden nur leider
Ein ganz verkehrtes Schauspiel dar.

51. Es stiegen an des Himmels Bogen
Nun schwarze, düst‘re Wolken auf,
Die bald den Mond auch überzogen
Mit sturmbewegtem, stillen Lauf.

52. Es wurde finster auf der Erde.
Es hauste wild der Wind im Wald,
Und auch die Luft, die sich verkehrte
War jetzt so eisig, feucht und kalt.

53. Schon hüllte sich des Schlossbergs Spitze
In schwefelgelbe Wolken ein,
Und es durchzuckten fahle Blitze
Die schwarze Nach mit Feuerschein.

54. Stark rollte schon ein dumpfer Donner
Hin über Berge, Tal und Flur,
Und schreckt und weckte die Bewohner
Der tief entschlafenen Natur.

55. Doch nun erreichten sie die Stelle,
Die sie auch schützte vor Gefahr.
Sie kamen zu der Waldkapelle,
Wo auch ihr treuer Freund schon war.

56. Mit ernster, feierlicher Miene
Trat der Kaplan nun vor sie hin.
„Ich soll,“ sprach er, „nach Eurem Sinne
Das Band der Ehe nun vollzieh‘n.

57. Doch ach, es fehlt des Grafen Willen
Zu diesem feierlichen Akt.
Nichts Gutes werden wir erzielen,
Die Handlung ist zu sehr gewagt.

58. Drum lasst Euch nochmals ernstlich mahnen
Und überleget, was Ihr tut!
Der Graf ist stolz auf seine Ahnen
Und sein hochadeliges Blut.

59. Und weil Ihr immer es verlangt
Und jetzt auch noch darauf verharrt,
So reicht die Hand Euch und empfangt
Den Segen auch nach Christen Art.“

60. Es hatte schon der Hahn gerufen,
Vorüber war die Mitternacht,
Als an des Altares heil‘gen Stufen
Die stille Trauung war vollbracht.

61. Der Ort der Andacht und der Feier
Lag an des Schlosses steilem Fuß,
Zu der durch Felsenungeheuer
Und Wald und Schlucht man gehen muss.

62. Auf beiden Seiten der Kapelle
Da rann und teilte sich ein Bach,
Der brausend hier an dieser Stelle
An dem Gestein die Wellen brach.

63. Doch dauerte nur ein‘ge Schritte
Des Baches kurz geteilter Lauf;
Und hier auf dieser Insel Mitte,
Da hielt sich die Gesellschaft auf.

64. „Jetzt wollen wir zum Vater gehen!“
Sprach Konrad heiß und tief betrübt.
„Wir müssen ihn um Gnade flehen,
Dass er uns seinen Segen gibt!“

65. Doch ach, es fiel vom Himmelsdome
Der Regen strömend noch herab.
Der schmale Bach wuchs an zum Strome
Und riss die kleine Brücke ab.

66. Sie waren jetzt daher genötigt
Zu warten, bis der Sturm entschlief
Und seiner Kräfte sich entledigt,
Und bis das Wasser sich verlief.

67. Auch legte nun nach langem Toben
Sich endlich die Natur zur Ruh.
Des langen Wartens nun enthoben,
Ging man nun ernst dem Schloss zu.

68. Der Morgen fing nun an zu grauen;
Es klärte sich der Himmel auf,
Und an der Donau dunklen Auen
Stieg leichter, blauer Nebel auf.

69. Es wurde Licht. Die Schatten wichen
Aurora‘s gold‘nem Lichtgewand.
Und Finsternis und Dunkel schlichen
Sich hin in‘s schwarze Schattenland.

70. Bald trat aus ihrem Faltenkranze
Am unermess‘nen Himmelstor
Die Sonne nun in vollem Glanze
Aus der Unendlichkeit hervor.

71. Sie lächelte so sanft und milde
Herab auf unser Erdenhaus,
Und strömte über die Gefilde
Belebend Licht und Wärme aus.

72. Es glänzten um des Grafen Perlen
Wie Diamanten und Rubin -
Und zwischen Eichen, Birk‘ und Erlen
Des Frühlings neubelebtes Grün.

73. Und während dieser Morgenstunde,
Als die Natur in Pracht zerfloss,
Kam Konrad auch mit Kunigunde
Zu seinem Vater auf das Schloss.

74. Der Graf, er hatte zweifelsohne
Am Abend Konrad schon vermisst,
Und war daher auf seinem Sohne
Sehr ungehalten und entrüst't.

75. Doch Konrad trat ganz ehrerbietig
Vor den erzürnten Vater hin.
„Du warst,“ sprach er „mir immer gütig,
Dir dank' ich, was ich hab' und bin.

76. Doch, wenn ich gegen Deinen Willen
Mich jetzt vermählt und verschwur,
So folgte ich nur den Gefühlen
Der zarten, menschlichen Natur.

77. Wie sahst Du mich auf Wegen wandeln,
Die jemals Schande Dir gemacht.
Doch konnt' ich jetzt nicht anders handeln,
Es siegte nur der Liebe Macht.

78. Erhöre, Vater, unser Flehen,
Vergib uns, sei uns wieder gut!
Was ich getan, und was geschehen,
Macht ja nicht schlechter unser Blut!“

79. Sie warfen sich ihm hin zu Füßen,
So, wie es Liebende versteh'n,
Um unter heißen Tränengüssen
Des Vaters Segen zu erfleh'n.

80. Doch bei dem Grafen half kein Bitten,
Er stieß sie zürnend von sich ab
Und ging mit heftig starken Tritten
In seinem Zimmer auf und ab.

81. Und als sie nochmals sich ihm nahten
So freundlich, liebevoll und gut
Und zärtlicher ihn nochmals baten,
Geriet er erst in höchste Wut.

82. „Hinweg!“ sprach er, „Du freche Dirne,
Du ehrvergess'ner, leichter Sohn.
Hinweg, Du schnöde, feile Dirne,
Der tiefste Kerker sei Dein Lohn!

83. Ich soll den Ruhm so vieler Ahnen
Verwilligen der schnöden Lust?
Nein, alles Gut, was sie gewannen,
Geb' ich ja gern um den Verlust.

84. Du hast nun diesen Ruhm begraben,
Zerrissen unser Ahnenbuch!
Nicht meinen Segen sollt Ihr haben,
Nein, meinen größten tiefsten Fluch!“

85. Da sank die arme Kunigunde
Vor Angst in tiefe Ohnmacht hin,
So zwar, dass ihre Todesstunde
Sich wirklich schon zu nahen schien.

86. Auch Konrad war nun ganz erschüttert,
Sein Innerstes wurd' ihm zu Stein;
Des Vaters Fluch, der ihn durchzittert,
Durchloderte ihm Mark und Bein.

87. Er wurde wirr an allen Sinnen
Und war sich nimmermehr bewusst.
Ein furchtbar frevelndes Beginnen
Entflammte sich in seiner Brust.

88. Er raffte in der größten Galle
Die schwache Braut vom Boden los
Und trug sie eilend hin zum Stall
Und warf mit ihr sich auf ein Ross.

89. Er sprengte nach den eisern'n Toren,
Wo jäh des Abgrund's Tiefen dräu'n,
Und gab dem wilden Ross die Sporen
Und stürzte brausend sich hinein.

90. Ein'n dumpfen Schrei und ein Gerolle
Vernahm man aus dem tiefen Schlund.
Und bald war auch das Schauervolle
Dem schon bejahrten Grafen kund.

91. Er wollte seinen Ohr'n nicht trauen,
Als man die Botschaft ihm gebracht;
Er ging es selber zu beschauen,
Was er als Märchen sich gedacht.

92. Doch hier sah er noch an den Steinen
Das rauchende Gehirn und Blut
Und mit zerschmetterten Gebeinen
Den, den er gereizt zur Wut.

93. Wirr sah er immer nach den Tiefen
Und blieb ganz regungslos und stumm.
Zu mächtig war sein Herz ergriffen,
Er fiel auch tot und leblos um.

94. Ich habe diese alte Sage
In kleine Verse eingewebt,
So wie sie wirklich heutzutage
Noch in des Volkes Munde lebt.

95. Nur das erbitt' ich mir zum Schlusse,
Weil ich nie Poesie studiert,
Dass man mein Werk der kleinen Muse
Nach meinem Stande rezensiert.

J. Kirchmayer,
Besitzer des Obermaiergutes zu Kalhöfen

aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
V. Romantische Sagen (Sagen verschiedenen Inhaltes)