Der sagenreiche Richtberg (II.): Der fromme Hirt am Richtberge

In geringer Entfernung von der Hütte Adams stand eine etwas größere. Diese war von einem Hirten, seinem Weibe und seiner großen Kinderschar bewohnt. Alle Kinder waren lustig, frisch und fleißig, bis auf den jüngsten Knaben, der sich vorzüglich dem Gebete und der Herzensandacht zuwandte und dabei nur das Hüten der Schafe verstand, bei welchem Geschäfte er ganz seinen frommen Gedanken Audienz geben konnte. Auch sonntags musste er Vieh hüten. Das tat ihm gar leid, denn er wäre über alles gerne in die Kirche gegangen.

Es war an einem hohen Festtage. Alles strömte der weitentlegenen Kirche zu, nur unser Hirt saß traurig auf der Windhager Waldwiese auf dem Richtberge inmitten seiner Schafe. Plötzlich gingen die Tiere auf eine kleine, kreisrunde Waldwiese, in deren Mitte ein hoher Baum stand. Diesen umkreisten die Tiere beständig. Erstaunt trat der Hirte hinzu – plötzlich sank er auf die Knie; unter dem Baum tönte himmlische Musik, und auf jedem Blatt wiegte sich ein strahlend Lichtchen.

Von nun an ging der fromme Hirt jeden Feiertag zu dem wunderbaren Baum, und jedesmal tönte dort zu Ehren Gottes die herrliche Musik.

Heute noch zeigt man den Baum; er ist aber tot und streckt seine kahlen Äste in die blaue Luft, in seiner Einsamkeit inmitten blühender Genossen ein herrlich Sagendenkmal.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
V. Romantische Sagen (Sagen verschiedenen Inhaltes)