Der Jungfernstein

Die bis an die Donau ausgebreitete Gegend der ehemaligen Pfarre Natternbach, war schon lange, bevor sie noch einen Namen erhielt, obgleich damals noch Urwald, bewohnt.

Die Sebasier, ein keltischer Volksstamm, hatten sich hier angesiedelt, und obgleich sie sich mit dem Aufrichten von Häusern nicht viel Mühe gaben, so hinterließen sie uns doch ein Denkmal auf einem Berge, der zwar nicht steil, nicht besonders hoch ist, dessen Lage aber einen prächtigen Ausblick gewährt.

Dieser Berg heißt jetzt der Hochsitz in der Ortschaft Eck. Auf seinem flachen Rücken ruht der sogenannte „Jungfernstein“, ein zweitausendjähriges Denkmal, der Sage nach von heidnischen Jungfrauen in ihren Schürzen dahin getragen.

Unsere Urväter versammelten sich nämlich des Jahres ein- oder zweimal, um gemeinschaftlich ihre gottesdienstlichen Gebräuche zu halten, ihre Kriegs- und Rechtsangelegenheiten zu schlichten, Heiraten zu stiften u. dgl. Dies geschah in geheiligten Hainen, in hierzu ausgewählten Eichenwäldern.

Bei diesen gottesdienstlichen Handlungen in den Eichenhainen hatten sie auch Altäre, auf welchen sie der Gottheit ihre Opfer darbrachten. Diese Altäre waren bloße, mächtige Steine, die aufeinander gelegt wurden. Ein solcher Altar war auch unser Jungfernstein.

Der ganze Bergrücken, wo derselbe liegt, war ein Eichenwald, dessen tausendjährige Eichen mit ihren mächtigen Ästen himmelan strebten. Weil aber dieser Berggipfel so erhaben ist, dass er weit und breit gesehen werden konnte und bei alledem nur eine ebene Fläche bildet, so war die Stelle zu den Zusammenkünften der deutschen Waldbewohner geeignet. Sie wälzten einen großen Stein auf den anderen schon vorhandenen Stein hinauf, um als Opferaltar zu dienen, und dieser Stein liegt noch immer auf eine Art, dass denselben jeder einzelne Mann, ja selbst ein Kind bewegen kann; viele Menschen aber mitsammen denselben doch nicht von der Stelle herabzubringen vermögen.

Die Göttin Holda, Hertha und Freya wurden daselbst verehrt. Das größte Mädchen, welches bei einem solchen Feste gegenwärtig war, musste nach heidnischem Gebrauche ihre Schürze mit Kuchen füllen, mit einem Fuße auf dem Opferstein stehen, in der linken Hand ein langes Stück Lindenbast, in der rechten einen Krug Haferbier hoch emporhaltend.

In dieser Stellung betete sie, dass die Göttin so hohen Hafer wachsen lassen möchte, als sie selbst wäre. Dann trank sie das Bier, füllte den Krug abermals und goß ihn für die Göttin auf den Stein, auch warf sie die Kuchen für die Göttin und ihre Geister zum Schmause hin.

Wenn während dieser Handlung das Mädchen mit den Fuße feststand, so galt es für ein gutes Zeichen.

Hierauf wurden die heiratsfähigen Jünglinge und Jungfrauen zusammen vermählt, und das Fest endigte mit einem Trinkgelage.

Auch in Andorf auf der Höhe des Kirchenberges befand sich ein solcher Steinring und darauf ein Opferstein (Wackenstein, Wackelstein). Die Druiden und Druidinnen steigen zur Opferhandlungen auf dem noch heute so genannten Jungfernsteig oder Jungfernrain diesen Berg hinan.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
IV. Mythische Sagen