Brudermord

Gleich einem zierlichen Spitzensäumchen, das einen schwellenden Nacken umgibt, so umspielt der Riedlbach den sanften Hügel am Saume des Henhartwaldes, auf dem, wie ein mächtiger Schattenstrich im hellen Landschaftsgemälde, die dunkle Veste Friedburg thronte.

Aber auch die Friedburg, so stolz sie da auch weite Umschau hielt im schönen Mattiggaue, verfiel der Dinge ewigen Wandel – sie ist nicht mehr.

Von wuchtigen Wehrmauern umrahmt, ragten vier gewaltige Warttürme auf, gegen Morgen einer und gegen Abend, gegen Mittag und gegen Mitternacht.

Fest begründet, auf einem riesigen Felsklotz erbaut, konnte die Veste jedweden feindlichen Angriff trotzen, in ihrem Innern Frieden wahren, nach Außen hin in Ernst gebieten.

In der Friedburg herrschte auch nie getrübte Eintracht, von der Freundschaft und der Liebe Band umschlungen; zwei Brüder, mit Namen Kuchler von Hochenkuchl, von der damals schon längst zerfallen gewesenen Stammburg ihrer Väter, Hohenkuchl, wenige Stunden von der Friedburg und der heutigen Stadt Ried entfernt, walteten friedlich in der Burg, die sie vom Bischofe Lambert von Bamberg erworben hatten, und dem sie dienstbar waren.

Hardung und Kunz von Hohenkuchl waren die einzig Übriggebliebenen von fünfzehn Geschwistern; Hardung der Älteste, ein rüstiger Greis, Kunz der Jüngste, ein blühender Mann in frischer Lebensfülle. Hardung, seit langen Jahren ohne Gemahlin und Kinder, hatte viele bittere Lebenserfahrungen gemacht; das hatte sein Gemüt verdüstert, seinen rasch aufstürmenden Charakter verhärtet. Kunz war das Widerspiel seines Bruders; Lebenslust und Heiterkeit waren die Fahnen, zu denen er geschworen. Vor wenigen Jahren hatte er sich eine liebliche Hausfrau heimgeführt. In Mattighofen, aus dem ruhmreichen Geschlecht der Ortenburger, hatte er das schönste Frauenbild erkiesen; denn Katharina von Ortenburg war das schönste Weib im ganzen Matiggau, sittig, fromm und tugendreich, von hoher geistiger Begabung. Mit Inbrunst liebte sie ihren Gatten, die sorgfältigste Aufmerksamkeit und Pflege widmete sie seinem ernsten, grämlichen Bruder.

Um diese Zeit rüstete der Baiernherzog Heinrich gegen seine widerspenstigen Vasallen und entbot dazu auch die ihm wohlgeneigten ritterlichen Nachbarn jenseits des Innflusses im Ried- und im Mattiggau.

Auch Kunz von Hohenkuchl folgte der von dem bedrängten Herzog an ihn ergangenen Ladung und focht tapfer in den ritterlichen Schaaren. Schon fast ein Jahr war er der Heimat ferne. Seine junge Gemahlin trauerte ob der so langen Abwesenheit des treu geliebten Gatten. Hardung schritt mürrisch und finster durch des Schlosses stille Hallen; nur selten ging er auf den Söller, um zu erspähen, ob Kunz nicht zurückkehre.

Heute ist er finsterer gestimmt, als je. Unruhig rückt er in seinem Lehnstuhl hin und her und schürt das Feuer im Kamine zur mächtigen Flamme. Gedankenvoll starrt er in die Glut; sein vielbewegtes Leben geht Jahr um Jahr an seinem Geiste vorüber. Es ist der Vorabend seines 65. Geburtstages und es verdross ihn gewaltig, dass er diesen Tag allein und nicht im Kreise seiner Verwandten und Nachbarn zuzubringen vermochte. Denn auch Katharina war seit mehreren Tagen von der Friedburg abwesend. Sie war nach Mattighofen und auf die Riedburg gezogen zu Verwandten und Bekannten auf Besuch; und Herrn Hardung hielt ein schweres Augenübel an die Stube gefesselt.

Es ist eben nicht ferne mehr die mitternächtige Stunde; doch noch immer hatte er nicht Ruhe gefunden auf seinem Lager. Heute eben war er so im Innersten erregt von Gram, Unmut und Lebensüberdruss; die Gegenwart schien ihm so leer, so öde, so zukunftsarm sein ganzes Sein; da ertönte plötzlich des Thümers Horn von hoher Warte; das widerliche Gekrächze der aufgescheuchten Eulen antwortete den unerwarteten Tönen.

„Was ist noch zu so später Stunde?“ fragte der Burgherr mit finsterer Stirne. „Ein Schreiben, Herr!“ entgegnete zaghaft der Diener, indem er dem Erzürnten einen Brief hinhielt, „von Eurem getreuen Stallmeister.“ „Von Norbert? Gib und geh!“ Es konnte keine freudige Kunde sein, die durch das Schreiben dem Burgherrn geworden, denn wilde Zornerregung malte sich auf seinem Gesicht, hoch hob sich seine Brust und krampfhaft ballte er die Rechte zur Faust. Von der Wand langte er einen scharf geschliffenen Dolch und verbarg ihn an der Brust in seinem Kleide. Rasch flohen die Stunden; Herr Hardung saß immer starr und unbeweglich, gleich den schwarzen Ahnenbildern an den Wänden.

Plötzlich vernahm er ein sonderbares Geräusch im Gemache; Hardung fuhr vom Lager auf, ergriff, um nachzusehen, die Lampe, siehe da! - Das Bild des Ahnherrn, des ersten Kuchler, war von der Wand gefallen und lag zerbrochen auf dem Boden.

„Hm! Ein böses Zeichen!“ murmelte Hardung, im Innersten gar sonderbar ergriffen. „Der erste war er, - soll ich der letzte sein? Hirngespinnst! Hinweg! Viel jünger ist mein Bruder.“

Jetzt ertönt Kettengerassel an der Pforte, die Zugbrücke fällt und im Schlosshofe ertönte der Hufschlag mehrerer Rosse. Frau Katharina, Kunzens liebvolle Hausfrau, war mit ihrem kleinen Gefolge von ihrer Lustreise fröhlich zurückgekehrt. Hardung zollte ihr nur kalten Empfang; nur misstrauische Blicke hatte er ihrer herzlichen Begrüßung entgegenzustellen. Gleich einem drohenden Gespenst stand Norberts unglückliche Botschaft zwischen ihm und ihr. Der Stallmeister war kein Freund des jungen Burgherrn; stürbe dieser früher, so war ihm aus dem Nachlasse des alten Hardung ein reiches Erbe zugesichert. So war ihm denn auch die Heirat Kunzens ein Dorn im Auge; dadurch war er ja eben noch viel weiter seinem Ziele entrückt. Er wußte daher, wo er nur konnte, immer Zwietracht zu streuen zwischen den beiden Brüdern.

Einige Stunden später trat der Stallmeister vor den alten Burgherrn; voll Ungeduld schrie Hardung ihm entgegen:

„Sag' an, mein Norbert, ist es wahr?“

„Wahr, wahr ist's, gnädiger Herr! Schon vor fünf Tagen traf in Mattighofen ein fremder Ritter ein in schwarzer Rüstung mit geschlossenem Visier; alsbald war er unserer Herrin unzertrennlichster Begleiter, der einzige Gegenstand ihrer zarten Aufmerksamkeit; spät in der Nacht verweilte er oft in ihrem Gemache.“

„Die Heuchlerin!“ kreischte zornerfüllt der Burgherr und seine Rechte wühlte an der Brust nach dem verborgenen Dolche. „Und der schamlose Bube, dem Gattenehre nur ein Hirngespinst, wo finde ich den?“

„Hier!“ „Wie, in meinem Schloss, sagst Du?“ „Ja, oben im Turm gegen Mitternacht, gerade über Frau Katharinens Schlafgemach.“

Wutentbrannt sah Hardung eine Weile vor sich hin, dann streckte er krampfhaft die geballte Faust empor und murmelte grollend: „Aus diesen Mauern kommst Du lebend nimmer hinaus.“

Von der nicht unbeschwerlichen Reise ermüdet, hatte die Burgfrau sich in ihr Gemach zurückgezogen. Während des Auskleidens konnte sie nicht zu Ende kommen mit der Aufzählung der Festlichkeiten, die bei der Rückkehr des geliebten Gatten, die morgigen Tages erfolgen werde, an dem Geburtstage des guten Bruders Hardung auf dem Schloss abgehalten werden sollen und nicht müde werden von der eigenen Herzensfreude zu erzählen, die sie beseelte über die Ankunft Kunzens, der ruhmgekrönt zurückkehrte aus vielen Kämpfen.

Indes schlich sich durch das Gewirre der finsteren Gänge und Korridore des Schlosses, gleich einer gespenstigen Spuckgestalt, trotz der Blendlaterne in seiner Linken, der alte Hardung unsicher die Wendeltreppe zur Höhe des Wartturmes, der gegen und in die Mitternacht hinausragte.

Mit scheuer Hast öffnete er jetzt leise eine Tür und ein Lichtstrahl, der in das Gemach fiel, beleuchtete unbestimmt das Lager, auf welchem fest der fremde Ritter schlief. Wie von Jugendkraft durchbebt, stürzte der Alte auf den Schlummernden und bohrte ihm rasch den blinkenden Dolch in die Brust.

Ein Seufzer nur, kein Laut, kam über des Gemordeten Lippen, ein Moment nur und er wahr nicht mehr.

Mit aller Anstrengung seiner Kräfte riss Hardung den Leichnam vom Lager und stürzte ihn über des Turmes Söller in die Tiefe.

Mit bleichem, wutverzerrtem Anlitze trat er nun in Katharinens Gemach. Krampfhaft ergriff er der erschreckten Herrin Rechte und zerrte sie hinaus auf den Söller. „Siehe! Deinen Buhlen!“ röchelte er kaum vernehmbar, indem er mit der bebenden Hand nach der Tiefe wies.

Unten war Norbert, der hohnlachend dem Wütenden gefolgt war, mit einigen Dienern mit Fackeln herbeigeeilt, um den bluttriefenden Körper mit zerschelltem Schädel vom Felsrande hinwegzuschaffen.

„Konrad, - Deinen Bruder hast Du gemordet!“ schrie hinstürzend Katharina. In blinder Wut und von Norbert aufgestachelt, hatte Hartung die schaudervolle Tat vollbracht. Er, der letzte Kuchler, folgte bald in tiefer Reue dem innig betrauerten Bruder.

Katharina verkaufte (1439) die Friedburg an Herzog Heinrich von Baiern und nahm den Schleier bei den frommen Frauen in Reichersberg.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
V. Romantische Sagen (Sagen verschiedenen Inhaltes)